Es war einmal vor langer Zeit, da ging es in Mannheim ganz wild zu. Ganz, ganz wild. Denn überall am Wegesrand waren wilde Plakate angebracht. An jedem Laternenpfahl sah man Einladungen zu wilden Partys mit Bildern von fast nackigen Mädchen in unzüchtigen Posen, oder man sah Plakate von wilden Rock Gitarristen, die sich hier in der Stadt die Ehre gaben. Jede Woche, ja fast täglich wurden häufig des nachts neue Plakate geklebt, überklebt, überüberklebt und so weiter. Es ging drunter und drüber. Doch da wurde es eines Tages den Gemeinderäten zu wild und sie bereiteten dem Treiben ein Ende. Sie ließen die wilden, aus Holzlatten gezimmerten Plakatträger entfernen und neue aus Metal fertigen. Diese sahen aus wie Stimmgabeln und man pflanzte sie an allen Durchgangsstraßen schön in Reih und Glied in den Boden ein und verbot bei Strafe das wilde Plakatieren. Fortan sollten nur an den Stimmgabeln Plakate erlaubt sein und das Plakatieren solle vom Stadtmarketing gegen Entrichtung einer Gebühr gemäß einer ordentlichen Gebührenliste besorgt werden.
Die wilden Plakatierer aber grämten sich, weil man sie aus der Stadt vertrieben hatte und verfluchten die Stimmgabeln. Seither ziert nichts Unzüchtiges die Mannheimer Straßen, kein Rockgitarrist wurde je auf einer Stimmgabel gesehen. Und so kam es, dass nun die städtischen und stadtnahen Betriebe werben mussten, auf dass die Stimmgabeln einen Zweck erfüllen und es in der Stadt nicht völlig trostlos aussehe. Die Gebühr aber wanderte von der rechten Tasche in die linke Tasche, damit kein Loch entstehe im Stadtsäckel. Indess wollte keine rechte Freude aufkommen beim Betrachten der immergleichen Plakate und es breitete sich ob der Stimmgabeln eine gähnende Langeweile über der Stadt aus. Die Pein wurde so groß, dass sich manch einer nichts sehnlicher wünschte, als doch nur bald wieder die wilden Plakate zu sehen und sich aufmachte über die Stadtgrenze, um sich dort am Anblick wilder Klebereien zu erquicken. Die Stimmgabeln aber blieben verflucht noch viele Jahre dazustehen und wenn kein Auto sie umgefahren hat, so stehen sie noch heute.
Die Mannheimer Stimmgabeln
03.2017 (aus „gespeicherte Entwürfe“)
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