
Irgendwie ist samstags hier immer Trubel und irgendwie ist auch immer Stau und irgendwie ist Samstag auch immer türkische Hochzeit in der westlichen Unterstadt und somit im Stau ein Hupkonzert, während ein Reinigungsfahrzeug auf dem Marktplatz geräuschvoll das Stimmengewirr aus den angrenzenden Straßencafes übertönt, setzt plötzlich ein heftiges Geläut von der Marktplatzkirche ein und sorgt für den Höhepunkt des Crescendos. Dieses dicht gedrängte Treiben erinnert an eine Weltstadt. In Manhattans Lower East Side, dem einstigen Tor für Einwanderer, lebten 1870 in einem Viertel mit günstigen Wohnungen und engen Gassen über 170.000 deutsche Migranten und es wurde Kleindeutschland genannt. Na ja, noch sagt man hier Filsbach, oder Türkenviertel, aber Klein Istanbul haben die Gewerbetreibenden als offizielle Marke auch schon ins Gespräch gebracht.

Wie in ethnischen Vierteln üblich, werden Waren überwiegend für den eigenen Bedarf angeboten. Die Palette reicht vom riesigen Hochzeitssuppentopf bis zum ebenso riesigen Hochzeitskleid, dazwischen vegane Köfte, Döner, Baklava, Handyverträge und Friseure. Der ein oder andere Laden hätte sicherlich noch eine genauere Betrachtung verdient, mal sehn. Jedenfalls hat sich in den letzten 40 Jahren zwischen den 1er- und 2er Quadraten von K bis G wie auch in den G Quadraten bis zur Jungbuschstraße eine Menge entwickelt. Die einfachen und billigen Wohnungen waren attraktiv für Migranten und mittlerweile beträgt der Anteil der Ausländer (auch wenn mir dieses Wort jetzt gerade komisch vorkommt) in der Westlichen Unterstadt den Spitzenwert von 70 % und die Mehrzahl hiervon sind Türken.

Früher entwickelte sich unter Migranten das selbständige Unternehmertum häufig aus einer prekären Sonderstellung, um drohender Arbeitslosigkeit zu begegnen, heutige Studien zeigen, dass mittlerweile weit mehr Bereiche als nur Dönerbuden durch selbständig oder freiberuflich tätige Migranten abgedeckt werden, ganz wie bei Deutschen auch. All dies und natürlich auch ein bisschen Heimweh führt nun besonders an Samstagen zu eben jenen Sog, der den Verkehr von Richtung Kurpfalzbrücke kommend anzieht. Die Autokennzeichen der in die Tiefgarage zum Marktplatz strebenden Fahrzeuge weisen auf Besucher aus Worms, Frankenthal, Heidelberg, Darmstadt, Offenbach und dem ganzen Umland hin, die in der Filsbach samstags ihre Freizeit mit einem shopping-Erlebnis inklusive gemütlichen Imbiss abfeiern wollen.
Eine derartige ethnische und soziale Dichte kann sicherlich auch zu neuen Grenzbildungen führen. Sie sollten sich nicht verfestigen, sondern mit der Zeit auflösen. Betrachtet man aber an anderen Orten manche verödete Straßenzüge mit ihren zahlreichen leerstehende Geschäften, haben wir es hier aber eigentlich mit einen Glücksfall zu tun.

Eine Fotostrecke mit einer Auswahl bunter Ansichten der an die hundert Gaststätten und Geschäfte in der westlichen Unterstadt findet ihr hier auf meiner Flickrseite. Übrigens wird man als Beobachter auch beobachtet. Beim Fotografieren wurde ich mehrfach angesprochen, dabei hatten sich nette kurze Gespräche ergeben.
Filsbach, Samstag
(229) 04.2016
Schlagwörter: Döner, E1, E2, E3, Filsbach, G1, G2, G3, G4, G5, G6, H1, H2, H3, H4, Halal, Innenstadt, J1, J2, J3, K1, K2, Westliche Unterstadt