Mannheim, die Arbeiterstadt und Mannheim, die selbsternannte Hauptstadt des Pop, geht das zusammen? Ja, aber nur mit Klassenbewusstsein. Klassenbewusstsein der Popkonsumenten und vor allem der Kulturarbeiter*, dem Prekariart.

Das im Oktober 2022 herausgekommene Album des in Mannheim lebenden David J. Kirchner ist quasi eine Bewerbung zur Aufnahme in den Gewerkschaftsbund und zugleich Gründungsaufruf für eine Gewerkschaft der Poparbeiter*innen. Für dieses ehrenvolle Anliegen reißt sich Genosse Kirchner musikalisch wahrlich alle zehn Beine aus und vertont einige alte Klassiker der Arbeiterbewegung neu. Einer Leistungsschau ähnlich, demonstriert er uns in zehn Liedern, dass Pop Musik harte Arbeit ist. Entstanden sind Produkte aus unzähligen Popzitaten, von Spider Murphy Gang, Beach Boys, David Bowie, Fehlfarben, The Cure und, und, und… technisch so versiert zusammengefügt, wie es eben nur der gut ausgebildete Industriearbeiter in Deutschland zu leisten vermag. Dazu intoniert er mit einer unschuldigen Engelsstimme Die Internationale, als wolle er auch noch den letzten Gewerkschaftskumpel beim ZDF Fernsehgarten für sein Vorhaben einsammeln. Weitaus bissiger klingen Die Schlesischen Weber, doch auch wenn der Gesang hier emotional engagierter und durchaus unter die Haut zu gehen vermag, verbleibt ein Rest Verfremdung, und wir werden uns ganz im Brechtschem Sinne über den Warencharakter der Musik bewusst. Freilich wird die Verweigerung des Authentischen einen großen kommerziellen Erfolg verhindern, ist aber Teil des Konzepts, das, wie bei bei dem Stück Papierkramland, viel Inspiration aus den frühen 80ern und der sog. Neuen Deutschen Welle zieht und dabei historisch korrekt sogar ein Faxgerät erwähnt. Hinter allem Spaß, den die Platte durchaus macht, (sie hat mich übrigens dazu animiert, mir mal wieder Bill Nelson´s Red Noise anzuhören) steckt natürlich auch die ernste Frage, wie Gesellschaft und Kulturindustrie mit ihren Kulturarbeitern umgeht, welche Rechte und welchen Schutz sie erhalten. Das Wort Indie bekommt spätestens dann einen Beigeschmack. Nach Kirchners Hoch/Tief Projekt und der Evakuierung des Ich Gebäudes sind Überlegungen zur solidarischen Organisation also folgerichtig. Das Werk ist beim Label Staatsakt erschienen und ich denke, es kann getrost als Lehr- und Unterrichtsmaterial in die Sammlung der Mannheimer Popakademie aufgenommen und verwendet werden.
IG Pop
David J. Kirchner
erschienen bei Staatsakt
(477) 11.2022