
Joy Flemings Neckarbrückenblues kam 1972 heraus und lief zu dieser Zeit häufiger im Radio. Der Song traf mich mit voller Wucht in meiner pubertären Phase. Ich meine, ich war in einem Alter, in dem ich, wie man so schön sagt, keine Ahnung hatte. Das Lied beunruhigte und begeisterte, faszinierte und verstörte mich gleichermaßen. In der Schule und zu Hause wurde streng hochdeutsch gesprochen. Her, her mol her… das kam schon einem Wohnungseinbruch gleich … was ich dir jetzt saage will… und dann noch per du …des is ä klääni Gschicht vun geschtern morge… brühwarm ….do is de Briefträger zu ma kumme und hot gsacht, her Kläni, geh mol her, ich hab da was zu saage… und bis dahin war mir völlig unbekannt, dass man mit Briefträgern sprechen konnte, oder gar von ihnen mit Du angesprochen wird und überhaupt, was ist das für eine Welt? …deun Karl is schun widder iwwer die Brick, iwwer die Brick is er widder niwwer zu der onnere… da gings um was, von dem ich nur wusste, dass mans nicht machen sollte, aber dann abgeklärt… da hab ich zu dem Briefträger gsacht: her mol, des is moin Karl sei Sach… souverän …ma zwingt kään Mensch zu soinem Glick… und das liegt ja wohl eindeutig in den Armen der Sängerin … und wann er mähnt, er muss iwwer die Brück, soll er doch, soll er doch, soll er doch… schreit sie ihm nach… Ich wees, der kummt a widder zurück, der kummt schun widder, wann er Hunger hot…oh yeah oh yeah oh yeah… schraubt sich die Stimmung bedrohlich nach oben, beruhigt sich aber wieder unerwartet … Die Männer… noch bin ich kein Mann, aber mein Schicksal scheint besiegelt … kumme alleweil widder zurück, dann sin se hungrisch oder kronk… ich werde Frauen verlassen und als armer Hund wieder vor der Tür stehen müssen… Gott sei Donk… wie? dass ich hungrig und krank bin? Schöne Aussichten, ich gehe grad aufs Gymnasium und lerne Latein. Aber mein Vater, was macht der eigentlich? …und ach moin Karl g´heert zu derre Sort, gottseidank gottseidank gottseidank… Bis jetzt war ja vom Karl nichts gutes zu hören, aber er scheint doch auch seine geheimen Vorzüge zu haben. … Nä, so oft kann der gar net fort, wie er widder zurück kummt iwwer die Brick… aber er ist wohl auch ein Schwächling und sie hat irgendwie den Kochlöffel wie ein Zepter in der Hand… do steht er schun widder an de Dür, moin Karl… das Piano setzt perfekte Akzente …un donn sacht er ganz fresch zu mir: Kläni her mol her, ich geh mol schnell uff ä Bier, ich bin bald widder zurück… das Wort Schäferstündchen kannte ich damals irgendwie schon, und es schien sich wohl genau hierum zu handeln, andererseits könnte dieses Stündchen aber auch im Puff verbracht werden und wenn dies zuträfe, wäre die Richtung klar: Sie wohnt in der Innenstadt und er geht über die Jungbuschbrücke in die Lupinenstraße. Das Wort Moral hatte für mich noch keine Bedeutung, wohl aber gut und schlecht …oh Karl, oh Karl, oh Karl, oh Karl … zugleich vorwurfvoll und schicksalhaft, göttlich …du hoschst doin Hut tief im Genick… nie wirklich verstanden …ich wääß ganz genau, jetzt geht er wieder iwwer die Brick, er geht wieder iwwer die Mannemer Brick… und dann geht es hin und her und her und hin, furios und wie im Zeitraffer …riwwer und niwwer… und gut und schlecht, plus und minus, Ablehnung und Anziehung …kumm zurück… Quadrate, Neckarstadt, man weiß gar nicht wo,…Mannemermannemermannemer… in dieser Geschwindigkeit ist der Standort nicht mehr klar auszumachen und …riwwer und niwwer… „hier und dort“ verschmelzen schließlich zu einem phänomenalen Dazwischen: …die Mannemer Neckarbrück.

Absolut großartig in Szene gesetzt mit Gesang, Bass, Schlagzeug, Klavier und Gitarre. 12 Points!
Neckarbrückenblues
gesungen von Joy Fleming
Text: Carl J. Schäuble, Erna Strube
1972
(288) 10.2017
Schlagwörter: Blues, Jazz, Jungbusch, Jungbuschrücke, Kurpfalzbrücke, Neckarstadt, Pop, Quadrate